Oh, schau!
Und sonst gibt es nichts zu sagen.
Iminox, Sammler

Als ich ein Kind war, hoffte ich einmal Feen zu sehen. Ich fragte meine Mutter, ob es Feen gäbe, und sie antwortete: “Sie existieren, wenn man an sie glaubt“.
Ich dachte also: Wenn ich mit aller Kraft versuche, eine Fee, einen Geist oder einen Zwerg zu sehen, und ich ganz fest glaube, dass sie existieren, und mir sogar ganz sicher darüber bin, dann werde ich sie auch sehen. Ich versuchte also so fest daran zu glauben wie möglich: Ich wusste, es wäre Magie sie zu sehen. Ich dachte, sie könnten leichter im Schatten einer Hecke bei Sonnenuntergang erscheinen an anderen Tagen am Ufer eines Flusses am Mittag eines Sommertages.

Als ich älter wurde, wollte ich diese Illusion nie ganz aufgeben, und ich akzeptiere bis heute nicht, völlig enttäuscht zu sein und obwohl ich nie etwas Lebendiges bei meinen Spaziergängen auf dem Land erblickt habe, bin ich doch manchmal auf bestimmte Flecken und seltsame Hecken gestoßen die, da bin ich mir ziemlich sicher, Erscheinungen verbergen.

Und hierauf wollte ich schließlich hinaus. Ich hatte noch nie beim Anblick von Fotos oder Bildern ähnliche Sensationen empfunden. Das ist das erste Mal. Die Bilder von Fulvio Ventura zeigen, wonach ich immer gesucht habe: die Ecken der Natur, in denen, wenn man genau hinsieht, etwas im Begriff ist zu erscheinen.

Giovanni Jervis, Psychiater

Als Erforscher von Landschaftsformen nach einer fast schon animistischen Methode, erschafft er Bilder, welche nach formaler und technischer Lehre mit den traditionellen Grafiken im Dialog stehen. Fulvio Ventura beschäftigt sich seit vielen Jahren hauptsächlich mit dem Thema Natur und Garten. Und obwohl es in seiner Arbeit nicht an anderen Themen fehlt, von der anthropogenen Landschaft bis zur menschlichen Gestalt, scheint die Pflanzenwelt in seinem Werk einen besonderen Standpunkt einzunehmen.

Ventura erschafft mit raffinierter Langsamkeit Szenarios mit Pflanzen, bestehend aus Fülle und Leere, Zeichen, Spuren und Kreuzungen, visuellen Pfaden, wo Bäumen, Büschen, Gräsern, Himmel, Wegen, Nebel, Steinen und Wasser als Metapher einer komplexen Welt stehen.

Mit hartnäckiger Beobachtungsgabe und obsessiver Überprüfung der Formen, Lichter und Schatten, beruhend auf der Untersuchung des ‚Motivs‘, um einen Begriff von Cézanne zu verwenden, hat Ventura das Medium Schwarz/Weiß Fotografie lange Zeit meisterhaft benutzt, um sich grafisch auszudrücken. Wobei die Schwarz-Weiß Fotografie nicht nur das Subjekt sondern sich sozusagen selbst darstellt. In den letzten Jahren hat sich Ventura der Farbfotografie zugewendet, die er auf die gleiche Weise wie die Schwarz-Weiß Fotografie benutzt, um Zeichen aufzunehmen.

Aufgrund dieser ständigen Suche nach Zeichen, Indizien und Spuren, durch die er versucht Rätsel zu entschlüsseln, erscheint Venturas Fotokunst wie eine dichte Ansammlung von kurzen und pikanten Gedichten: keine kontinuierliche Erzählung, sondern die Summe von mehreren Fragmenten. Vielleicht können sie Bedeutungen erlangen, wenn man sie zusammensetzt. Sein Werk, auch wenn es durch Fotografien (die scheinbar realsten Bilder) besteht, wird von einem Gefühl des Geheimnisses beherrscht, einer grossen Frage. Es ist eine Art Schrift, deren Alphabet schwer zu erkennen ist, die uns sicher nicht nur von Orten wie Wäldern, Ebenen oder Gärten berichtet, sondern auf ganz stille Art von Menschen, Erscheinungen, Gedanken, und Ängsten erzählt.

Roberta Valtorta, Historikerin und Kritikerin der italienischen Fotografie

Es hat mich nicht überrascht, als der Autor dieser Fotografien, Fulvio Ventura, mir sagte, dass viele Menschen entsetzt waren, wenn sie sie betrachten. Nicht so sehr wegen der Bilder selbst, sondern wegen des wiederkehrenden Themas, des Waldes. Ein Wald, in dem es keinen Menschen gibt, außer an den Orten, wo er die Kontinuität unterbricht.

Vor dem Mord der Heiden hat der Wald Schutz und Blüte für unsere Welt bedeutet, ob es sich um die griechische, lateinische Welt oder die Götterwelt, der Nymphen und Satiren handelt und selbst nach dem Fall des Paganismus hat der Wald für die Nordischen Völker Oberon, Titania, die Nibelungen, Zauberer und Feen hervorgebracht, die dann ihren Platz in der Poesie und Geschichten gefunden haben.

Während der Autor mir eins nach dem anderen seine Bilder zeigte, prägte sich mir manchmal, von einem Felsgestein oder dem Verlauf der Vegetation gezeichnet, ein Gesicht oder eine Figur ein. Beim Betrachten des Kontrastes der Baumrinde die sich vom Stamm abzeichnet, bemerkt ich, das es das Spiel von Licht und Schatten war, das die vermenschlichten Formen der Götter vor mir erscheinen lies.

Wer dem Wald mit Misstrauen begegnet, ihn als etwas Äußeres betrachtet, das in ihm nur Furcht erregt, wird niemals die geheimen Formen, Erscheinungen und Offenbarungen erkennen, die den Autor dazu brachten, sie zu suchen und sie in der Zeichnung der Lichter und Schatten aufzuspüren.

Ippolito Pizzetti, Landschaftsmaler und Essayist

In diesem Buch lässt uns Fulvio Ventura durch seine gedankliche Traumwelt reisen. Vorher führten uns fast alle Fotografiebücher zu einer klar begrenzten Realität: zu einem Land, einer bestimmte Art von Menschen, bestimmten Monumenten. Die Dokumentation waren ihr einziger Zweck. Doch schon Paris de nuit von Brassai (1932) oder Paris des Rêves, von Izis (1950) brachten uns das poetische Universum ihrer Autoren näher. Und Henri Cartier-Bresson gestand schon am Anfang der Images à la sauvette (1932) seine Subjektivität ein und erinnerte den Leser daran, dass “die Bilder dieses Buches nicht behaupten, eine generelle Idee über dieses oder jenes Land zu vermitteln“. Bei einigen junge Fotografen hat diese Weiterentwicklung zu ganz bewussten Umsetzungen geführt. In Frankreich möchte ich Contretemps von Arnaud Class (1978) zitieren. Hier bringt Fulvio Ventura diesen Prozess zu seiner vollendesten Essenz.

Die Geschichte, die uns Fulvio Ventura erzählt, ist von einer seltsamen Art. Sie besteht aus genauso vielen mysteriösen Löchern wie aus rätselhaften Erscheinungen. Wie seine Träume kommen diese Bilder aus Fulvio Ventura selbst, doch sie erscheinen ihm unbekannt, wie aus einem anderen Land. Sie sind ihm sowohl außergewöhnlich intim als auch völlig fremd. Das fotografische Schaffen hat das Privileg, den Kreateur sofort mit seinem Werk zu konfrontieren, als wäre es das Werk eines anderen. Eine sowohl schwierige als auch fruchtbare Situation. Für Ventura sind diese Bilder wie Erscheinungen von zwei Horizonten, die ihm entgleiten, auf der einen Seite die Erscheinung der objektiven Realität, die außerhalb seiner selbst liegt, und auf der anderen Seite das unbewusste Substrat seines Denkens, das ihm nicht weniger unbekannt ist als die objektive Welt. Die Bilder befinden sich am Zusammenfluss dieser beiden Exzesse.

Er versucht sie mit klaren Bewusstseins zu erfassen, um sie in einer gewissen Ordnung zusammenzubringen. Dafür sammelt Ventura die Aufnahmen die der ‚Erosion der Augen‘ widerstehen. Sie bleiben unerschütterlich, von unbestimmter und unverminderter Qualität, wie die Bruchstücke eines schönen, verlorenen Romans. Wie die verstreuten Teile einer Welt, die anderswo in einem unerreichbaren Absoluten sollten. Aber unzählige Teile werden immer fehlen und der Faden ist verloren.
Ventura ist angesichts dieser Bilder und diese tückischen Orte wechseln sich ab mit grossen Räumen, menschenleeren Ebenen, an deren Ende das Fenster eines einsamen Hauses leuchtet nicht weiter als jeder von uns. Sie sind das Mysterium eines Rätsels. Vor ihnen können wir den bedeutsamen Satz von Diane Arbus überprüfen: “Eine Fotographie ist ein Geheimnis über ein Geheimnis“.

Rätselhafte Fragmente einer seltsamen Geschichte, Ventura wählte sie unter vielen aus, weil sie ihm nahe standen und direkt betrafen. Und auch wenn er sie völlig zufällig gefunden hatte, hingen sie an ihm fest wie so manche vertrauten Objekte, “die sich an unsere Seele klammern“.
Er wagte den Sprung zu entscheiden, dass sie auch andere berühren können. Er will uns ein sehr geheimes Gefühl vermitteln mit der Wette, dass es auch unser Gefühle sein können oder besser das es bereits unser Gefühl ist. Und das ohne jeglichen Kommentar, der die wesentliche Einsamkeit jeder Fotografie verraten würde.

Das Geheimnis selbst wird hier zum tiefsten Antrieb unserer Reise. Wir sind nie da wo wir anzukommen glauben, sondern immer an einem vorübergehenden Ort, um einen anderen neuen unsicheren Ort zu erreichen. Wie Dante, der sich im ersten Lied der Hölle in einem dunklen Wald verirren musste, bevor er seinen Weg fand, müssen wir unter den beängstigenden Augen von Chimären und heraldischen Bestien, die die Tore der Welten des Jenseits bewachen, vorankommen. Wir durchqueren enge mit Stacheln bewachsene Gänge, stickige Gewächshäuser voller halluzinogener Kakteen.
Seltene, flüchtende Figuren, die man kaum erkennen kann, hätten ein Zeichen, eine Nachricht für uns. Wir folgen ihnen am Flussufer und in den Korridoren der U-Bahn. Sie treiben ein rätselhaftes Spiel, ohne das ein Ende abzusehen wäre und vielleicht ist das alles auch nur eine Illusion. Der Hinweis und der Fall sind hier durcheinander geraten, um den Ermittler verrückt zu machen.

Manchmal steht jemand vor uns. Ist es das böse, plötzlich materialisierte Genie, das diese Sarabande anführt? Aber alles, was wir sehen, ist ein Mann, der sich mit dem spöttischen Lächeln eines kleinen Mädchens und den staunenden Augen eines großen Babys hinter seiner dunklen Brille versteckt und dann verschwindet er auch schon wieder. Und die Verfolgungsjagd wird immer schneller, geht durch die vom Regen durchpeitschten Ebenen, bis sich die Bilder im Schatten der Dämmerung auflösen…
Und so navigierten wir von einem Bild zum anderen und obwohl wir uns manchmal verirren und abtreiben, fügen wir sie schließlich zusammen, ohne dabei ihr Schweigen zu brechen oder ihre Einsamkeit zu verschmutzen.

Jean-Claude Lemagny, Historiker der Fotografie, Kurator der Abteilung für Drucke und Fotografie der Nationalbibliothek von Frankreich

Anna de Lorenzi, Daniele und Christel Bortolan, Bruno Bortolan und Julie Armando, Lorenzo Camocardi, Giulia Zorzi, Beatrice Hepp, Aurora Bortolan, Kati Haschert, die an der Bearbeitung dieser Website mitgearbeitet haben, schließen diese kleine Rezension von Zitaten mit einer Reflexion von Walter Benjamin, besonders geschätzt von Fulvio Ventura, genommen von der Einbahnstrasse Ernte:

Stirbt ein sehr nahestehender Mensch uns dahin, so ist in den Entwicklungen der nächsten Monate etwas, wovon wir zu bemerken glauben, daß – so gern wir es mit ihm geteilt hätten – nur durch sein Fernsein es sich entfalten konnte. Wir grüßen ihn zuletzt in einer Sprache, die er schon nicht mehr versteht.